Von Bergit Kuhle
Mindestens dreimal im Monat muss ich fast einen ganzen Tag lang in der ambulanten Abteilung der Tagesklinik einer Universitätsklinik verbringen zwecks Zuführung supportiver Therapien im Rahmen meiner MDS-Erkrankung. Diese Therapien erhalten mich am Leben.
Es handelt sich dabei um Bluttransfusionen (EK = Erythrozyten-Konzentrate), da mein Knochenmark nicht mehr selbst genügend eigene funktionsfähige rote Blutkörperchen produziert sowie um die Gabe von Immunglobulinen, die mein Immunsystem unterstützen sollen, damit nicht jeder daher gelaufene Keim oder Pilz ungehindert in mich eindringen und mich fertig machen kann.
Es versteht sich von selbst, dass es mir am Morgen dieser Tage nicht gerade gut geht, ich habe zu diesem Zeitpunkt massive Anämiesymptome, die ja eben durch die sehnlich erwartete Transfusion wieder ausgeglichen werden sollen. Selber Autofahren ist indiskutabel, ich brauche also einen Chauffeur, meinen Mann, den ich an solchen Tagen wirklich nicht beneide. Das frühe Aufstehen um 6.30 setzt mir extrem zu, Kopf und Beine sind eher bleiern und während der 30-minütigen Fahrt in die Klinik rede ich meistens kein Wort, weil mir Reden viel zu anstrengend ist.
Wenn ich doch mal was sage, ist es meist offensichtlich zu leise und zu piepsig. Kann sein, dass ich die Nachfrage, was ich denn gesagt habe, mit einem gereizten "nichts" quittiere. Meine Gedanken sind wie zäher Brei, sich zu wiederholen scheint unmöglich. Ich bin ein wahres Scheusal ohne genügend Sauerstoff für meine Hirnzellen.
Bei der Uniklinik angekommen, geht es zunächst darum einen Parkplatz möglichst nahe am Eingang zu finden, damit ich nicht so weit laufen muss. Da wir früh da sind, findet sich eigentlich immer einer. Meistens ist es der Parkplatz, bei dem die Hälfte des Autos auf dem Bürgersteig steht. Ich bin jedes Mal hocherfreut, wenn wir nachmittags wieder aus der Klinik kommen, dass der linke Spiegel noch dran ist. Aber ich behalte diese Gedanken für mich, denn Diskutieren geht gar nicht und zu Recht würde mich mein Mann fragen, was ich eigentlich will, einen kurzen Weg oder einen komfortablen Parkplatz? Klar hat er Recht, auch wenn dadurch, dass das Auto eben schief und halb auf dem Bürgersteig hängt die Beifahrertür so schwer ist, dass ich sie mit meinen Minikräften nicht aufhalten kann um auszusteigen. Mein Mann muss also ums Auto herumkommen und mich buchstäblich rausziehen, immer mit demselben Griff, dreimal im Monat.
Während er dann noch dies und das im Auto räumt, fange ich an schon mal in Richtung Tagesklinik los zu wackeln, vorbei am noch unbesetzten Eisstand und den stinkenden Beton-Aschekübeln für die Raucher, bis zum Schild an der Eingangstür "bei Verdacht auf ansteckende Krankheiten, bitte nicht eintreten, sondern klingeln". Dann wackle ich langsam weiter vorbei am Pförtner den ersten der drei Flure entlang. Im zweiten Flur, direkt gegenüber dem Andachtsraum, brauche ich meist eine kleine Verschnaufpause. Wenn es nicht ausreicht stehen zu bleiben, ist genau genau da eine Bank, auf die man sich setzen kann. Dort stürzt eine Menge Krankenhauspersonal an mir vorbei, die mich keines Blickes würdigt, man will schließlich pünktlich zur Arbeit kommen.
Drei für diese Tage typische Hindernisse habe ich jetzt schon geschafft: das Aufstehen, die Fahrt und das Aussteigen aus dem Auto. Jetzt gilt es den Weg zur Tagesklinik bis zum Ende zu meistern, auf dem mich mein Mann längst eingeholt hat und mich zur Hilfe unterfasst. Danach ist das Gespräch am Aufnahmetresen zu bestehen und ohne zu reden geht das nicht.