Von der Wirkung eines neuen Medikaments

Wenn man sich in einer Medikamentenstudie befindet, wünscht man sich mehr als alles andere, dass das Medikament bei einem selbst anschlagen möge. Familie und Freunde, die informiert sind, sehen radikal nur das Positive und drücken die Daumen wie verrückt, weil sie einem das Beste wünschen. Zusammen schwebt man auf einer rosaroten Wolke der Hoffnung. Es ist diese Hoffnung, die in einer sehr frühen Studienphase an einer recht kleinen Patientengruppe den Verlauf einer Studie für den Patienten prägt, noch nicht die wissenschaftlich gesicherte Wirksamkeit eines Medikaments.

Man sollte ganz vorsichtig mit dieser Hoffnung umgehen, denn alles zwischen Wunder und Abbruch ist jeder Zeit möglich. Neutral betrachtet ist es einfach und spannend: Wird dieses neue Medikament bei mir wirken und wenn ja, wie nachhaltig und wie lange?

Hoffnung kann in einer unheilbaren hämatologischen Erkrankung eine trügerische Währung sein. Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie verstellt mitunter den Blick für die Entwicklung der realen Blutwerte. Zahlen und Trends sind das Einzige, auf das sich der Hämatologe stützen kann, sonst hat er nichts um Vorhersagen zu treffen. Hoffnung darf für ihn keine statistische Größe sein. Um positive Vorhersagen zu treffen, braucht er Trends, also über einen längeren Zeitraum ansteigende Werte. Dazu stützt er sich auf die Statistiken, die für nur eine ganz kleine Anzahl von Probanden zeigen, wie viele Patienten auf dieses Medikament mit welchen Nebenwirkungen innerhalb welchen Zeitraums schon angesprochen haben.

Ansteigende Trends, gesicherte Statistiken und gute klinische Werte berechtigen den Hämatologen zu dieser möglichen Aussage "Ich glaube, wir können uns Hoffnungen machen, dass das Medikament bei Ihnen wirkt". So geschehen bei mir, Yeah, Yeah, Yeah!
Meinen Ärzten steht echte Freude im Gesicht geschrieben und auch ein bisschen Ungläubigkeit. Eine meiner Ärztinnen hüpfte richtig auf der Stelle vor Begeisterung. Ich habe mich so gefreut, dass sie sich so freut. Ich freue mich natürlich auch.

Schön, ich bin also seit einigen Wochen in einer Medikamentenstudie. Sie gibt Anlass zu Hoffnung. Ein Teil der Werte steigt. Das ist ein positiver Trend. Ein anderer wichtiger Wert steigt zwar nicht, fällt jedoch langsamer ab als vorher (da ist die Stelle, wo es nicht richtig funktioniert, aber was soll's, ich lass das mal in der Klammer, jeder würde mir nämlich übel nehmen, wenn ich das so betone!).

Man kann sich trotz schlechter Werte streckenweise gut fühlen und trotz guter Werte schlecht. Ich fühle mich mit den guten Werten gut. Fantastisch. Das bisherige Studienergebnis übertrifft auf jeden Fall meine Erwartungen. Nach fast 10 Jahren MDS (Myelodysplastisches Syndrom) in einer Therapiewüste mit wenigen Oasen, habe ich damit gerechnet meine schlechten und weiter abfallenden Blutwerte seien in Beton gemeißelt. Ich wollte nur nichts verpassen: das war meine Motivation in der Studie mitzumachen und die Hoffnung eben, vielleicht zu den 20% der Patienten zu gehören, die laut noch kleinerer Vorgängerstudie auf das Medikament "angesprochen" haben. Irgendjemand muss ja der Statistik entsprechen. Warum nicht ich? So weit so gut.

Dies ist die dritte Studie, an der ich seit Erkrankungsbeginn teilnehme. Die beiden anderen haben mir durch massive Nebenwirkungen der Medikamente sehr geschadet - das ist nicht übertrieben – und die Substanzen haben mir nicht geholfen. Diesmal gibt es quasi keine Nebenwirkungen, danke Pharma !

Die Substanz, die gerade an mir getestet wird, wird ihre Wirksamkeit nach einer unbestimmten Zeit wieder verlieren, die Erkrankung und ihre Symptome werden erneut die Oberhand gewinnen. Gerade jetzt bin ich in einer grünen Oase, bevor ich zurück in die Wüste muss. Den Einstieg in den Ausstieg sehe ich schon jetzt, und zwar an der Stelle, an der sich ein Teil meiner Blutwerte eben nicht verbessert, wie vom Medikament erwünscht, sondern nur langsamer abfällt.

Außer mir will das zur Zeit aber keiner wissen und diskutieren, auch die Ärzte nicht. Was würde es auch bringen?

Ich fürchte mich etwas vor den Telefonaten und Fragen mit und von guten Freunden, denen ich mich stellen muss, wenn die Episode vorbei ist. Aber vielleicht brauche ich einfach nur eine noch größere Portion Hoffnung und meine neue Oase ist tatsächlich größer als ich mir vorstellen kann.